Theoretischer Hintergrund
Viele Jahrzehnte war es nur über sehr aufwändige Experimente möglich, die Energie von chemischen Strukturen und Reaktionen zu bestimmen. Dabei stellte Erwin Schrödinger schon 1926 die nach ihm benannte Schrödinger-Gleichung auf, mit der sich theoretisch die Energie aller chemischen Verbindungen berechnen lässt:
Ĥ Ψ = E Ψ
mit E: Energie; Ψ: Wellenfunktion, Ĥ: Hamilton-Operator (Zusammenfassung von Berechnungen der potentiellen und kinetischen Energie eines Teilchens)
Das Problem: Die Schrödinger-Gleichung lässt sich nur für das Wasserstoffatom exakt lösen. Für alle größeren Systeme ist man auf numerische Methoden, also Näherungsrechnungen, angewiesen. Das ist extrem aufwändig. Es mussten also zuerst Computer mit hohen Rechenkapazitäten entwickelt werden, um tatsächlich die Chemie „berechenbar“ zu machen. Heute können sogar die Strukturen von komplexen Proteinen durch quantenchemische Rechnungen vorhergesagt werden oder der Ausgang von chemischen Reaktionen berechnet werden. Experimente können also nicht mehr nur im Labor, sondern auch am Computer durchgeführt werden. Da Computerchips zu großem Teil aus Silicium bestehen spricht man von in silico Experimenten.
Erwin Schrödinger
Um eine erste Idee zu bekommen, wie computerchemische Methoden funktionieren, müssen wir uns die Schrödinger-Gleichung etwas genauer ansehen:
Ĥ Ψ = E Ψ
E bezeichnet die Energie, die berechnet werden sollen und Ψ stellt die sogenannte Wellenfunktion dar. Der Hamilton-Operator entspricht der Energie des Gesamtsystems. Man vereinfacht die Gleichung, indem man davon ausgeht, dass die Atomkerne quasi unbeweglich sind (Born-Oppenheimer-Näherung). Der Hamilton Operator umfasst dann die folgenden Größen:
- kinetische Energie der Elektronen
- potentielle Energie durch elektromagnetische (Coulomb) Wechselwirkungen zwischen den negativ geladenen Elektronen und den positiv geladenen Kernen
- potentielle Energie durch elektromagnetische Elektron-Elektron-Wechselwirkungen
Vor allem die dritte Größe ist dabei sehr schwer zu berechnen, da sie von der Position der Elektronen abhängt. Für das Beispiel von Ethen müsste dafür eine 48-dimensionale Differentialgleichung gelöst werden. Computerchemische Methoden vereinfachen diese Berechnung durch sehr verschiedene Näherungen. Einen ersten Überblick über die verschiedenen Methoden bietet z.B. Simons (2023).
Wie oben beschrieben, basieren computerchemische Methoden auf näherungsweisen Lösungen der Schrödinger-Gleichung. Je nachdem, welche Methode verwendet wird, ergeben sich unterschiedlich genaue Energiewerte.
Es gibt heutzutage Näherungsmethoden (z.B. coupled cluster Theorie), die es erlauben, Energien fast exakt zu berechnen. Die benötigte Rechenleistung nimmt dabei jedoch rasant zu. Die Kunst bei computerchemischen Rechnungen (und vor allem auf einer Homepage für Schüler:innen) ist es also oft, eine geeignete Balance zwischen Genauigkeit und Rechenkosten zu finden.
Alle Rechnungen basieren auf ORCA, einem quantenchemischen Programm, das von Prof. Frank Neese am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung entwickelt wurde. ORCA wird in der wissenschaftlichen Forschung eingesetzt, z.B. um chemische Strukturen und deren Eigenschaften zu berechnen oder um Reaktionswege zu überprüfen. Für akademische Zwecke ist die Nutzung kostenlos, auf der Orca-Homepage finden sich viele weiteren Informationen und Anleitungen zur Installation einer eigenen lokalen ORCA-Version.
Ja! Natürlich spielt die Forschung in Labors mit echten Chemikalien weiterhin eine zentrale Rolle in der chemischen Forschung. Es ist aber mittlerweile in vielen wissenschaftlichen Zeitschriften Standard auch theoretische, also quantenchemische Ergebnisse zu nutzen. Dadurch konnten sehr viele chemische Zusammenhänge (besser) verstanden werden. Teilweise können auch schon Ergebnisse chemischer Experimente vorausgesagt werden und so zielgerichtet Synthesen geplant werden. Die Entwicklung immer besserer und effizienterer computerchemischer Methoden ist heute ein wichtiges Forschungsfeld der Theoretischen Chemie.
Für die zukünftige Forschung ist es besonders spannend, computerchemische Methoden mit künstlicher Intelligenz zu verknüpfen. Deshalb hat die Zeitschrift Science die Aufklärung von Proteinstrukturen als wissenschaftlichen Breakthrough of the Year 2021 gewählt:
Hintergründe zur Entwicklung der Homepage werden aktuell in einem wissenschaftlichen Artikel beschrieben. Sobald dieser erschienen ist, wird er hier verlinkt.
Einen grundlegenden Überblick über die Funktionsweise quantenchemischer Rechnungen findet man z.B. bei Neese et al. (2019).
Seeman und Tantillo (2022) zeigen in ihrem Artikel an vielen Beispielen auf, wie quantenchemische Experimente den Erkenntnisgewinn in der Chemie beeinflusst haben.
Die computerchemischen Experimente auf dieser Homepage wurden mit dem Ziel entwickelt, das Verständnis von Schüler:innen für den Zusammenhang von Energie und Struktur besser zu verstehen. Als Grundlage dafür dienen die empirischen Ergebnisse von Pölloth, Diekemper und Schwarzer (2023) zum Energieverständnis von Schüler:innen.